“Mein Kunde hat keine Ahnung“... oder wie Sie schwierige Verhandlungen mit Ihren Kunden führen
Ob bewusst oder unbewusst, jeder von uns führt täglich Verhandlungen unterschiedlicher Art in seinem Privat- und/oder Geschäftsleben durch. Mal „verhandeln“ wir mit dem Lebenspartner darüber, ob wir ins Kino gehen (wie sie es gerne hätte) oder doch zuhause bleiben und Fussball gucken (wie er es bevorzugt). Mal müssen wir uns mit unserem Autoversicherer darüber streiten, ob die Kosten für eine Reparatur übernommen werden.
Ein drittes Mal müssen wir, als Freiberufler beispielsweise im IT-Bereich, eine Aufgabe für einen Unternehmer verrichten, damit dessen Firma wiederum ihre Kunden besser bedienen kann.
Viele Freelancer und Auftraggeber machen den Fehler, dass sie über einzelne Positionen verhandeln. Stellen Sie sich folgende Situation vor, bei der der Freelancer für eine beschriebene Aufgabe CHF 16.000,00 verlangt; der Nachfrager ist jedoch bereit, maximal nur CHF 5.800,00 zu zahlen, und keinen Rappen mehr. Eine Verhandlung kann in so einem Fall nervenaufreibend sein und kann eine mögliche, langfristige Beziehung zwischen Freelancer und Nachfrager erheblich schädigen. Denn der Nachfrager hat kein Verständnis dafür, dass die beschriebene, in seinen Augen kleine Aufgabe so viel Aufwand und Kosten verursacht; der Freelancer seinerseits behauptet, dass der Kunde keine Ahnung habe. Würden beide nur auf ihren jeweiligen Positionen beharren, würde keiner aus dieser Diskussion als „Sieger” hervorgehen und eine mögliche langfristige und erfolgreiche Beziehung würde darunter leiden.
Was wir oft in einer Verhandlung vergessen, ist, dass auf der anderen Seite auch nur Menschen sitzen; Menschen mit Gefühlen, Wahrnehmungen, Werten, Prinzipien und Emotionen. Demzufolge können Sie sich vor oder auch während einer Verhandlung ärgern oder sich missverstanden fühlen. Sie können auch Ihr Gegenüber missverstehen, wenn die Diskussion nicht gut läuft oder die Informationen nicht klar kommuniziert werden.
Die Bestsellerautoren R. Fisher und W. Ury raten in ihrem Buch “getting to yes” dazu, bei Verhandlungen darauf zu achten, das Problem (in dem obigen Beispiel die IT-Aufgabe) und die daran beteiligten Personen (in diesem Fall der Nachfrager oder Sie als Freelancer) auseinanderzuhalten. Wenn Sie zwischenmenschliche Probleme mit Ihrem Gegenüber haben, müssen Sie versuchen, diese Probleme zu lösen, ohne bei Ihren Verhandlungen durch Konzessionen nachzugeben.
Zwischenmenschliche Probleme lassen sich, nach Fisher und Ury, in drei Kategorien aufteilen: Wahrnehmungen, Emotionen und Kommunikation.
Jede Seite in einer Verhandlung tendiert dazu, Dinge so zu sehen, wie Sie sie sehen wollen und missachten oder missbilligen dabei die Ansichten der anderen Seite. Wir kennen alle das Beispiel mit dem Glas, das von der einen Seite als halb voll und als halb leer von der anderen Seite angesehen wird. Beide Seiten mögen recht haben, aus ihrer individuellen Betrachtung.
Deshalb ist es ratsam, sich in die Situation des Anderen zu versetzen, um genau seine Gründe, Argumente, und Motivation zu ergründen und zu verstehen. Dieses Verständnis dient dem erfolgreichen Abschluss der Verhandlung. Dies bedeutet keinesfalls, dass Sie die Argumente und Rechtfertigungen der Gegenseite akzeptieren. Es hilft Ihnen jedoch, die Konfliktzonen zu reduzieren oder gar zu meiden.
Um beim IT-Beispiel zu bleiben: Der Auftraggeber hat dem IT-Experten nicht erzählt, dass er schon der zweite Freelancer ist, der mit der Aufgabe betraut wird. Der erste ITler musste seinen Preis deutlich reduzieren, um sich bei der Auftragsvergabe gegen die Konkurrenz aus der Ukraine durchzusetzen. Bei der Ausführung des Auftrags hat er die Arbeit hingeschmissen, da er weit unter seinen Kosten gearbeitet hat. Nun steht der Auftraggeber gewaltig unter Druck, weil ihm sein Chef eine Frist bis Quartalsende für die Erledigung der Aufgabe gegeben hat.
Wie wir sehen, hat die Vorgeschichte des Auftrags zwar wenig mit dem eigentlichen Inhalt der Aufgabe zu tun. Es ist sehr wichtig, diese Erkenntnisse durch beide Parteien in Erfahrung zu bringen. Deshalb sollte der Freelancer offen über seine Auffassung reden und versuchen, möglichst viel über die Vorstellungen des Auftraggebers zu erfahren. Der Freelancer sollte auch Verständnis dafür zeigen, dass sein Auftraggeber in der Klemme sitzt und dass sie beide gemeinsam an der Lösung der Aufgabe kooperativ zusammenarbeiten sollen.
Nun würden Sie sagen, aber die Positionen bzw. Preisvorstellungen beider Parteien liegen zu weit auseinander, um eine Einigung zu erzielen. Und was geschieht, wenn beide Parteien auf ihrer jeweiligen Position beharren? Da stimme ich Ihnen nur teilweise zu. Denn oft ist es so, dass die beschriebene Aufgabe nicht unbedingt das reflektiert, was der Kunde eigentlich möchte. Für den Freelancer ist es daher immens wichtig, sich tief und eingehend mit der Problemstellung zu befassen. Das kann beispielsweise durch Brainstormingsitzungen mit anderen Mitarbeitern aus der Kundenorganisation geschehen.
In diesem Prozess sollten alle Beteiligten darauf achten, dass sie die Entscheidung über den Ausgang der Verhandlungen auf einen späteren Zeitpunkt verschieben, um das Fenster für alle möglichen Optionen offen zu halten. Am Ende des Prozesses sollten die Beteiligten eine Liste von Optionen ausgearbeitet haben, die der Preisfindung des Projekts dienen kann.
Für Sie als Freelancer ergeben sich nun viele Möglichkeiten und Optionen Ihr Projektangebot aufzubauen. Sie haben damit drei sehr wichtige Ziele erreicht, nämlich die Wünsche des Kunden gründlich verstanden zu haben, ihn in Ihren Überlegungen involviert zu haben, und ein Angebot erstellt zu haben, das genau seinen Vorstellungen entspricht.
Die Kunst liegt nun darin, Ihr Angebot so aufzubauen, dass es aus zahlreichen Optionen besteht. Der Kunde kann dann selbst darüber entscheiden, welche Optionen er haben möchte und welchen Preis er dafür zu zahlen bereit ist.
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Dieser Artikel wurde in den Freelancer-Schweiz-News 12/2016 veröffentlicht.